Kolumne von Alfred Draxler: „Wir fuhren die Rolltreppen hoch und runter“ | News
Galeria Karstadt Kaufhof schließt 52 Filialen! In der „Tagesschau“ sehen wir besorgte Mitarbeiter. Und hören den Abgesang auf Deutschlands große Kaufhäuser. Ich habe plötzlich Bilder aus meiner Kindheit vor Augen. Es sind schöne Bilder.
Der VW-Käfer, der erste Fernseher und das prächtige Kaufhaus – sie sind die Symbole für das deutsche Wirtschaftswunder in den 50er- und 60er-Jahren.
Mein Kaufpalast war das WEKA in Gelsenkirchen, das Westfalen Kaufhaus. Nach der Schule liefen wir gerne hin und fuhren die Rolltreppen rauf und runter. Auf jeder Etage gab es etwas zu entdecken. Spielwaren für uns Kinder, Schallplatten. Und irgendwo ganz hinten sogar eine Zoo-Abteilung, wo man kleine Hunde sehen konnte.
Viele Kaufhäuser waren Kathedralen der Architektur. Riesige, lichtdurchflutete Hallen. Und Auslagen wie im Schlaraffenland. Es gab die neuesten Küchengeräte, moderne Kleidung, teure Parfums und eine Abteilung nur mit Orientteppichen. Alles unter einem Dach. Den Menschen ging es endlich wieder gut. Man schaute und staunte.
Wenn ich eine neue Sonntags-Hose brauchte, nahmen mich meine Eltern an die Hand und wir gingen ins Kaufhaus. Ich glaube, sie waren stolz, dass sie sich wieder etwas leisten konnten.
Der Tod der großen Konsumtempel war schleichend. Auf einmal gab es Discounter und Shoppingmalls. Begriffe, die es damals noch gar nicht gab. Und es kamen die Internet-Kaufhäuser. Im Jahr 2021 haben 82 Prozent der Deutschen mindestens einmal online eingekauft. Die Innenstädte veröden. Und mit ihnen die großen Kaufhäuser.
▶︎ Oder schauen und staunen wir einfach nicht mehr? Ist das Überangebot an Waren und Gütern für uns inzwischen zu einer solchen Selbstverständlichkeit geworden, dass man sie doch auch gleich mit nur ein paar Klicks bestellen und kaufen kann? Auf den Rolltreppen jedenfalls starren die meisten inzwischen lieber auf ihr Handy.
Mein schönes WEKA in Gelsenkirchen ist schon lange geschlossen. Die Fassade steht auf der Denkmalliste. Mieter sind heute die Hauptverwaltung des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr, das Blutspendezentrum Gelsenkirchen und eine Rechtsanwaltskanzlei.
Fast nebenan gibt es noch ein Galeria-Karstadt-Haus. Kein Konsumtempel wie früher, eher ein schmuckloser Betonklotz. Auch diese Filiale gehört zu den 52, die geschlossen werden. Bald gehen die Rolladen für immer runter.