Europa nimmt Kampf gegen resistente Keime auf
Brüssel, Berlin Seit es Antibiotika gibt, gelten viele Krankheiten als harmlos, die früher meistens tödlich endeten. Viele Entzündungen haben ihren Schrecken verloren. Doch mittlerweile haben sich die Bakterien angepasst: Manche Erreger widerstehen allen Antibiotika, die zur Behandlung verfügbar sind.
In der EU sterben pro Jahr 33.000 Menschen an solchen multiresistenten Keimen. Die gesundheitlichen Folgen sind vergleichbar mit denen von Grippe, Tuberkulose und HIV zusammen. Weltweit sterben nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO jedes Jahr 1,3 Millionen Menschen, weil Antibiotika bei ihren Infektionen nicht anschlagen. Bei fast fünf Millionen Todesfällen war eine solche Infektion mindestens mitverantwortlich, wie eine Studie zeigt, über die das Fachjournal „The Lancet“ vergangenes Jahr berichtet hat.
Experten sprechen deshalb von einer „stillen Pandemie“ und warnen eindringlich davor, diese zu unterschätzen. Doch die Europäische Union, die nun etwas dagegen unternehmen will, stößt dabei auf zahlreiche Probleme. Eins davon: Jedes neue Mittel verschlingt Milliarden.
„Wir sind mitten in einer echten Krise“, sagt Wolfgang Philipp, stellvertretender Direktor der EU-Gesundheitsbehörde Hera. „Institutionen, die sich mit Krisenbewältigung beschäftigen, müssen sie stärker in den Fokus ihrer Arbeit rücken.“
Doch gerade bei der so wichtigen Wirkstoffentwicklung ist der Fortschritt ins Stocken geraten. „Die goldene Ära der Antibiotika ist vorbei“, erläutert Ulrich Schaible vom Leibniz-Forschungsverbund Infections. „Seit 30 Jahren sind keine neuen Wirkstoffklassen mehr zur Anwendung in die Kliniken gekommen.“
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Die EU will nun in die Entwicklung von Reserveantibiotika investieren, die nur dann eingesetzt werden dürfen, wenn andere Mittel nicht ausreichen. Das wird viel Geld kosten, doch ohne Förderung haben Unternehmen zu wenig Interesse an dem Thema. „Die Entwicklung eines neuen Antibiotikums kostet eine bis mehrere Milliarden Euro“, sagt Han Steutel, Präsident des Verbands der forschenden Arzneimittelunternehmen.
Die Entwicklung von Antibiotika ist ein teures Geschäft.
(Foto: imago stock&people)
Die Einnahmen aus dem Verkauf können das nicht decken. Denn Reserveantibiotika sollen, wie der Name schon sagt, möglichst wenig eingesetzt werden. In Deutschland gibt es deswegen einige Privilegien für Antibiotika im Vergleich zu anderen Medikamenten. So wurden Reserveantibiotika aus den Festbetragsgruppen herausgenommen, es gibt also für sie keinen Höchstpreis für die Erstattung von Arzneimitteln durch die gesetzlichen Krankenkassen. Die Hürden für die Nutzenbewertung von Reserveantibiotika wurden gesenkt.
Während der G20-Präsidentschaft 2017 hat die Bundesregierung zudem zugesichert, bis 2028 bis zu 500 Millionen Euro für die Forschung und Entwicklung zu Antibiotikaresistenzen zur Verfügung zu stellen. Hera-Vize Philipp sieht einen „Whatever it takes“-Moment: „Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem eine effektivere Mobilisierung auf globaler Ebene stattfinden muss“, sagt er.
Die EU plant eine neue Fördermethode
Die EU will vorangehen. Mitte März wird die EU-Kommission bekannt geben, wie sie sich die Förderung vorstellt. Doch da zusätzliches Geld in der EU immer schwer einzutreiben ist, gerade jetzt in Zeiten von Krieg und Energiekrise, geht die Diskussion in Richtung eines Gutscheinsystems: Wer ein neues Reserveantibiotikum zulässt, soll als Belohnung ein anderes Medikament um sechs Monate länger marktexklusiv verkaufen dürfen.
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Die Unternehmen würden das begrüßen: „Das wäre ein unkonventioneller, aber eleganter Beitrag, den Antibiotikamangel in den Griff zu kriegen“, sagt Steutel. Den besten Effekt gäbe es, wenn die Gutscheine handelbar wären.
Umsonst gibt es die Antibiotikaförderung damit nicht. Die Kosten fallen letztlich bei den Krankenkassen an, die mehr Geld für die länger marktexklusiv verkauften Medikamente bereitstellen müssten. Darum sind einige EU-Länder gegen den Vorschlag.
Neben immer neuen Entwicklungen lässt sich das Problem der multiresistenten Keime auch angehen, indem man den Einsatz von Antibiotika reduziert. Antibiotika sind relativ stabile Moleküle, die lange in der Umwelt verbleiben, bevor sie sich zersetzen. In dieser Zeit üben sie einen Evolutionsdruck auf Bakterien aus, die dadurch Resistenzen entwickeln.
Meines Erachtens dürfen Reserveantibiotika nicht mehr in der Tierhaltung verwendet werden. Ulrich Schaible, Leibniz-Forschungsverbund Infections
In einer Studie des Centrums für Europäische Politik heißt es darum: „Vor allem angesichts der alternden Bevölkerung in der EU muss der Verbrauch weiter gesenkt werden, um die erhebliche Gesundheitsbedrohung durch die Resistenz gegen antimikrobielle Mittel zu stoppen und sicherzustellen, dass die derzeitigen Antibiotika für diejenigen, die sie benötigen, verfügbar und wirksam bleiben.“
Die Landwirtschaft spielt eine Schlüsselrolle
In Deutschland soll das über die seit 2008 geltende und seitdem mehrfach überarbeitete Antibiotika-Resistenzstrategie (Dart) funktionieren. Eingebunden sind neben dem Gesundheitsministerium auch das Landwirtschafts-, Umwelt-, Entwicklungs- und Forschungsministerium.
„Zur Vermeidung der weiteren Ausbreitung von Antibiotika-Resistenzen ist ein Bündel von Maßnahmen erforderlich, die in verschiedenen Bereichen ansetzen müssen“, teilte das Gesundheitsministerium mit. Demnächst soll es eine weitere Neuauflage, „Dart 2030“, geben, bei der es unter anderem darum geht, Resistenzentwicklungen rechtzeitig zu erkennen.
Nutztiere in der Landwirtschaft werden oft mit Antibiotika behandelt, was zur Entwicklung multiresistenter Keime beiträgt.
Die Landwirtschaft spielt bei der Vorsorge eine Schlüsselrolle, denn Nutztiere werden oft mit Antibiotika behandelt, was zur Entwicklung multiresistenter Keime beiträgt. Dadurch finden sich Antibiotika auch in Dünger, im Boden und in Gewässern, wo sie auch zur Entwicklung multiresistenter Keime beitragen können.
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Im Dezember verabschiedete der Bundestag eine Reform des Tierarzneimittelgesetzes, um den Einsatz weiter zu reduzieren. Demnach müssen Tierärzte die Anwendung von Antibiotika bei sämtlichen Rindern, Schweinen, Hühnern und Puten melden – auch bei Tiergruppen wie Milchkühen und Legehennen, die bislang davon ausgenommen waren. Vorgeschrieben wird darüber hinaus, dass bestimmte Wirkstoffe so selten wie möglich zum Einsatz kommen dürfen. Auch die Eingriffsmöglichkeiten der Überwachungsbehörden werden ausgeweitet.
Das Bundeslandwirtschaftsministerium teilte auf Anfrage mit, die Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen sei auch ein Problem für den Tierschutz, da sie es erschwere, bakterielle Infektionen von erkrankten Tieren zu behandeln. Das Ziel sei, den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung „deutlich zu minimieren“.
Gleichzeitig verweist das Ministerium darauf, dass der Einsatz bereits deutlich zurückgegangen ist – von 2011 bis 2021 um 65 Prozent. Es sei deswegen zu erwarten, dass auch die Antibiotikarückstände in der Gülle erheblich kleiner geworden seien.
Doch es gibt noch viel zu tun. „Wir müssen die Reduktion des Einsatzes von Antibiotika in der Tierzucht weiter vorantreiben“, mahnt Leibniz-Forscher Schaible. „Meines Erachtens dürfen Reserveantibiotika nicht mehr in der Tierhaltung verwendet werden.“
Ein Vorbild sind hierbei die skandinavischen Länder, die die Antibiotikanutzung in der Landwirtschaft kontinuierlich reduziert haben.
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